| “Jungvolk” - war da nicht mal ‘was? Ja, das ist “lange” her, daß die Naziführung, wissend, daß das deutsche Volk durchaus nicht geschlossen hinter dem neuen Reich stand, sich ein neues Volk suchte, ein Volk der Zukunft: “die Jugend”. In der entsprechenden völkischen Abteilung der Nachswuchspflege und der Aufwuchszucht kehrte das dann in der Kleinausgabe des Jungvolks wieder. In Stellung gebracht gegen
die Eltern, gegen die “Alten”. Und gegen die, die nicht die rechte Begeisterung für die braune Bande zeigen mochten.
Heute müssen wir erleben, daß auch jetzt “die Jugend” wieder “alles” ist - die Gegenwart, die Zukunft... und der Maßstab. Im täglichen Umgang erkennt man das am Jugendlichkeitswahn der Werbung, der Fernsehprogramme, der Mode - vor allem bei der Besetzung der Arbeitsplätze... und bei der Gestaltung der Bedingungen der Gesetzlichen
Rentenversicherung.
Auf einmal ist alles wieder “der Jugend” unterworfen, ja Untertan: Zukunftsinvestitionen sollen möglichst ausschließlich aus den Erträgnissen der heutigen Generation = Steuerzahler bezahlt werden - die Zukunft der nächsten Generation darf nicht “belastet” werden mit “Schulden”. Das wird zur Generalkeule, heute noch mehr zu sparen - zu Lasten derer, die den - funktionierenden, fairen, gerechten und leistungsfähigen - Staat
brauchen. Heute also zu sparen zugunsten der Erbengeneration, die durchaus im Blickfeld eines Teiles der rechnenden Öffentlichkeit ist.
Der Blick der Allgemeinheit, die sich keinen eigenen MdB leisten, keinen Wohnsitz im Ausland ins Augen fassen kann und die sich auch keine Gedanken machen muß über die Wiedereinführung einer gerechten Vermögenssteuer - der Blick dieser Allgemeinheit, die jeden Tag mehr zu leiden hat unter einem immer ärmer werdenden Staat, dieser Blick wird von
den interessierten Kreisen immer mehr auf wirkliche Nebenkriegsschauplätze der gesellschaftlichen Ungleichverteilung gehetzt. Warum? Um abzulenken von den täglich größer werdenden Ungerechtigkeiten, von der schreienden weitgehend steuerfreien Einkommens- und Vermögensbildung kleiner Teile der Gesellschaft, die mit aller Energie den Staat, unseren Staat, den Staat, den wir alle (fast alle!) brauchen, reduzieren, am besten aber “privatisieren” wollen. Ein
“privatisierter” Staat ist wieder der Staat der Mächtigen. Die “anderen” müssen mit den Krumen zufrieden sein.
Jeden Tag wird hergezogen über “Faulenzer”, die nicht arbeiten wollen, über “Schmarotzer im sozialen Netz”, die andere für sich arbeiten lassen, über angeblich ach so wohlhabende Schwarzarbeiter, die die Gesellschaft der Arbeitenden hemmungslos ausnehmen - aber kein Mensch spricht über die große Zahl außerordentlich
erfolgreicher Steuerhinterzieher, Steuerverkürzer, rücksichtsloser Ausnutzer und Macher von Steuerlücken - und niemand beschwert sich über eine dicke Wirtschaft und ihre Funktionäre, früher nannte man solche Leute “Wehrwirtschaftsführer”, heute heißen sie “Manager”; niemand beschwert sich über Arbeitgegber, die hunderttausende Menschen jedes Jahr hemmungslos auf die Straße werfen - allein um die Profitrate zu erhöhen, die Aktienkurse und ihre persönlichen Einkünfte und
eben die “Profitabilität” zu verbessern, Umsatzrenditen von 15 - 20% werden angepeilt - wie im Kolonialismus. Wie schafft man das? Durch Sklaverei. Das geht heute nicht mehr - da müssen dann also Tagelöhner her. Ohne soziales Netz, ohne Kündigungsfristen und andere Schutzbestimmungen - von heute auf morgen zu feuern. Zeitarbeit nach deutschem Gusto ist eine starke Vorstufe dazu. Hinter allem steht ein immer deutlicher werdendes Konzept, das nicht
ganz unbekannt ist: die Gesellschaft muß ideell in viele Teile aufgesplittet werden, in Teile, die sich gegenseitig bekriegen, wo niemand sich mehr für das Schicksal des Anderen interessiert, wo einer gegen den anderen in Stellung gebracht wird. Die Arbeitnehmer sind den Gewerkschaften, ihren Gewerkschaften wohlgemerkt (!) entfremdet, die SPD, die sich in einer anderen, viel schlechteren Zeit einmal als “Schutzmacht der kleinen Leute” verstand, macht heutzutage Politik gegen die
eigenen Leute, gegen das Gros der Bevölkerung; die “kleinen Leute” sollen sich gar schützend vor die Vermögensbesitzer stellen, damit diese armen Kerle auch weiterhin keine Steuern zahlen müssen. Der stärkste Gipfel der Mobilmachung der gesellschaftlichen Volksverhetzer ist aber, nun auch die Generationen gegen einander in Stellung zu bringen. Es ist jetzt richtig “Mode” geworden, die “Alten” in unserer Bevölkerung zu hemmungslosen, gierigen Schmarotzern zu
diffamieren, die nur noch auf ihren eigenen dicken, ach so dicken Vorteil bedacht sind - und den Jungen die Zukunft wegfressen. Auch ich war, wie alle anderen Menschen irgendwann, mal jung - und habe, gemessen an den damaligen viel geringeren Einkünften, ordentliche Rentenbeiträge gezahlt. Selbstverständlich klaglos - denn ich wußte ja, was damit bewirkt wurde: die Renten für unser aller Eltern und Großeltern, die es nie in ihrem Leben leicht gehabt hatten.
Ich kannte keinen jungen Menschen, der sich beklagt hätte, daß er nicht für sich selbst... sondern für “andere” zahlte. Das ist heute ganz anders geworden - heute, in der Zeit des puren Egoismus, des Neides, der Heuchelei... und der Hetze auf andere, auf schwächere Glieder der Gesellschaft. Da paßte es dann gut, nein - es war richtig typisch! - daß ein Küken-MdB, eine Volksvertreterin von 19 Jahren, mit 18 die Schule beendet, dann gleich rein in die wohldotierte hauptamtliche
Politik, sein gewichtiges Stimmchen erhob und erklärte, damit müsse aber auch Schluß sein, daß die Alten immer mehr wollten, statt doch mal an “die Jungen” zu denken, die im Alter auch mal ihr “Leben genießen” wollten. Ja, sie kannte auch schon das richtige Vokabular: “wir brauchen einen neuen Generationenvertrag”. Bravo, dieses Kind der Genuß-Generation hatte seine Lektion gelernt: im Leben noch nichts geschafft, im Beruf noch nichts gelernt - aber
schon an sich selbst denken... und rechnen: Wo bleibt mein eigener Vorteil? Das Jungvolk von heute. Entsetzen erfaßt wohl jeden Menschen, der mit gelebter Solidarität groß geworden ist. Ich schrieb der FR einen Leserbrief, der wurde, wie viele andere kritische auch, veröffentlicht. 2.12.2002 |